Brief des Wilhelm Oesterhaus aus Detmold an Heinrich Begemann in Neuruppin vom 11.5.1918.
Original im Staatsarchiv Detmold, Bestand D 77 Begemann
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Zum Verständnis:

Dr.Heinrich Begemann, hier als "Geheimrat" tituliert, war Leiter des Gymnasiums in Neuruppin. Mit Ende seiner beruflichen Laufbahn widmete er sich intensiv der genealogischen Erforschung seiner Familie und anderer Famileien mit Namen Begemann. Die Ergebnisse sind in 5 Schriften veröffentlicht (siehe dazu die Experten-Seite am Seitenende des Themas "Verbreitung").

Wilhelm Oesterhaus war Lehrer in Detmold und gilt als erster lippischer Mundart-Dichter.

Der nachstehende Brieftext ist bisher unveröffentlicht. Er ist wort- und buchstabengetreu übertragen, soweit das die Lesbarkeit der Handschrift zulässt. Ergänzungen und Verbesserungen in [ ] sind auf solche Stellen beschränkt, die zum Verständnis der Wörter unbedingt notwendig sind. Fragwürdige oder aus heutiger Sicht falsche Thesen zum hier interessierenden Thema sind mit einem [?] gekennzeichnet.
 

Sehr geehrter Geheimrat,

Mit Erforschung der recht alten lippischen Mundart beschäftigt, finde ich etwas Zeit, Ihnen in Ihrer Familienforschung einige Hülfe zu leisten. Der Name Begemann hatte vor 100 Jahren in Detmold sehr guten Klang. Der Küster der reformierten Gemeinde stand seiner Tüchtigkeit wegen als Lehrer der Stadtschule in hohem Ansehen, galt auch unter allen Lehrern, die akademisch gebildeten nicht ausgeschlossen, für den bestgestellten. Es hieß, er sei unter 7 Söhnen einer Familie der einzige, dem es nicht vergönnt gewesen sei, Hochschulen zu besuchen. Mit dem auch als Componist von Chorälen und sonstiger Kirchenmusik damals wie heute noch bekannten Cantor Pustkuchen, dem Vater von Goethef[e]ind P.-Glanzow hatte er im Kirchendienste derart getauscht, daß jener Orgeldienst versah, dieser vorsang. Küster B. soll im Gegensatz zum damals herrschenden Rationalismus Hinneigung zum Pietismus gezeigt, die jährlich kommenden Sendboten der Brüdergemeinde freundlich aufgenommen haben. Über seine Herkunft dürfte das Kirchenbuch der ref. Gemeinde Auskunft geben, wohl auch die Registratur des Consistoriums. Sein Sohn war, ein großer hübscher Mann, Lehrer in Hagen, Amts Lage, ging nach Holland, wurde dort Feldmesser, kehrte 1864 in Ruhestand versetzt, nach detmold zurück. Hier unterrichtete ich mit ihm und seinem Neffen, Zeichenlehrer L.Menke von Herbst 1868 ab längere Zeit an der Gewerbeschule, Fortbildungschule, übernahm, als B. seiner Kenntnis der holändischen Sprache wegen , in Ostfriesland Beschäftigung fand, seinen Unterricht in Geometrie und Constantienlehre bis zur Projektion der Kegelschnitte und Kreuzgewölbe. B's älteste Schwester war an den Vorsteher der Pflegeanstalt, des Waisenhauses, Handarbeitsschule, d. Krankenhauses Menke verheiratet, dessen Sohn der schon erwähnte Zeichenlehrer der höheren lehranstalten war. Eine von ihm geschriebene Arbeit über den Zeichenunterricht wurde im Jahresbericht des Gymnasiums veröffentlicht, ist schwer zu erhalten, mein letztes Exemplar lieh ich einem hervorragenden Fachmann in Hamburg, der es wohl bezahlen, nicht wieder hergeben wollte. Ein 2ter Sohn der Familie Menke starb als Pastor in Meinberg. Ihre Schwester war die Frau Cantor Sauerländer, deren ältester Sohn + Pastor in Schötmar, d. 2te Pastor, später Seminardirektor in Detmold. Zwei Töchter des Küsters B. waren nacheinander Frauen des Nachfolgers ihres Vaters, Küster Kotzenberg, dessen einer Sohn vor einigen Jahren als Oberleutnant a.d. starb. Küster K. und Cantor Kotzenberg verdanken ihr Kommen von Seminar aus in angesehene Stellungen zum großen teil ihrer Zugehörigkeit zur Familie B. Alle "vetterten sich" mit einem Begemann, der als Töchterschullehrer in Bückeburg vom dortigen Fürsten an eine der besten Pfarren des Lipperlandes am die in seinem lippischen Paragialamte Blomberg gelegene in Cappel gesetzt wurde. Anfangs strenger Rationalist wandte er sich später dem Pietismus und Orthodoxie zu. Diesem Umstande verdankte er seine spätere Berufung unter dem Minister v.Oheimb in die Stelle des Seminardirektors mit Sitz und Stimme im Consistorio. Trotz seiner Richtung bereitete er dem freudlosen Dasein der Zöglinge der Anstalt und der in ihr herrschenden Steifheit und der entsetzlichen Pedanterie ein Ende. Seine Schüler bewahren i[h]m ein freundliches Andenken. Sein einziger Sohn soll später Leiter einer höheren Töchterschule in Berlin und dessen Vororten gewesen sein. Ich habe ihn nur von Ansehen gekannt. - Ein anderer B. muß vor 50 Jahren Pächter der der schaumburgischen Linie zustehenden Meierei bei Blomberg gewesen sein. Stets hörte man von ihm als einem wohlwollenden Herrn reden, stets bereit Ablösungen der in jenem Amte sehr drückenden Feudallasten zu möglichst leichten Bedingungen zu fördern. Seine feststehende Redensart soll dabei gewesen sein: "Mehr ist mir die Sache nicht wert". - Haben Sie Ursache, anzunehmen, daß Ihre Vorfahren dem lippischen Bauernstande entstammen, so kämen Sie dabei in die Reihe manch angesehener tüchtiger Familie des Landes, wie der Petri, Falkmann, Weßel. - Der Name B. lautet im Volksmunde: Biem. Das auslautende: "m" steht für: mann, wie man ja auch wohl einmal "Biegemann" sagen hört. Die bekanntesten "Bieme" wohnten in dem nicht weit von Barntrup gelegenen kleinen Dorfe Betzen. Sie führten zur Unterscheidung die Namen: Öbber-, Middel- und Unnerbiem [teilweise:?]. Während an der Ostseite des Ortes der große Betzemeier liegt, muß ihm gegenüber in unvordenklichen Zeiten der später in 3 Besitzungen geteilte Biemhof gelegen haben. Gleiches vollzog sich nach Lage der Grundstücke zueinander in Rentorf: 3 Klemmen, Röntorf: 3 Klocken, Malmershaupt: 3 Wehrmann.

Aus der Lage an der Bega - Biege ergibt sich der Name. Der Name des Flusses muß ursprünglich Biege gewesen sein, woraus in Schlangen-Kohlstädt Bieke wurde, entsprechend den Regeln der Lautverschiebung. Im übrigen Lande behielt allein das Tal am betr. Gewässer selbst das "g", stieß aber den "i"-laut aus: Biege, wobei aber das "e" lediglich als Dehnungszeichen anzusehen ist. "Beke" kommt nun an der Nordostgrenze am Bonstapel "Becke", im Amt Örlinghausen, an beiden Seiten des lippischen Waldes mit Ausnahme von Schlangen-Kohlstädt vor; während das sonst noch vorhandene Land: "Bieke" sagt. Noch ein Bauernhof im Begatale führt den Namen Begemann, in dem mit fruchtbaren Boden gesegnetem Humfeld. Ein Begemannhof in Betzen muß den Namen geändert haben: Öbberbiem - Oberbegemann. So wurde er ehedem oft bezeichnet [?], heute nicht mehr. Ebenso liegt es bei einem Hofe Begemann in Helberg, Asentrupper Bauerschaft. Der kluge Besitzer kam zurück. Bei seinem Tode ging das Erbe auf einen fremden Käufer über, der ihm nach neuerem Rechte seinen Namen beilegte, während früher der Besitzer nach Gewohnheitsrecht den Namen des Gutes führte. Gleiches muß mit einem kleineren Hofe in der Gemeinde Wüsten vorgekommen sein. Ihr Name klingt auch aus dem Ortsnamen: Biemsen heraus. Die Endsilbe "sen" bedeutet "hausen", Biemsen also Begemannshausen [?]. Unter den Besitzern größerer Höfe hab ich beim Durchwandern keinen Begemann gefunden, obgleich ich beim Durchwandern, zwecks Erforschung der Sprache, mich danach erkundigte. Der Dichter [gemeint ist Friedrich Begemann aus Biemsen , 1803 - 1829], dessen kurze Lebensbeschreibung fand ich zuerst in der "Geschichte der deutschen Literatur" von Heinr. Kurz, die früher auf dem Lehrerzimmer des Gymnasiums unverschlossen stand. Eine längere las ich später, vielleicht im "Lippischen Magazin". Sein Vater soll dort Gutspächter gewesen sein, ob der der fürstlichen Meierei oder der eines der großen Bauernhöfe, konnte ich nicht erkunden. Man kannte drüben den frühverstorbenen Dichter, von dem Goethe gesagt haben soll, er scheine berufen gewesen zu sein, im deutschen Dichterwalde den Imperatormantel zu tragen. - Korl Biegemann ist Pseudonym für Medizinalrat Volkshausen, zugleich Besitzer des gleichnamigen sehr großen Amtsmeierhofes V. Wie er sein Pseudonym so schreiben konnte, begreife ich nicht. Ihm mußten die Namenskürzungen: Biegemann - Biem, Lohmann - Lohm, Watermann - Waterm, Hausmann - Hiusm bekannt sein. Humor ist die stärkere Seite bei ihm; doch das nebenher. Nicht gern urteile ich über andere, mit mir auf gleichem Gebiete Arbeitende. Im mittleren Lande trifft man plattdeutsch Biem - Biegemann -, hochdeutsch Begemann sehr oft bei kleineren Leuten, auch bei 2 Lehrern, deren einer in Ahmsen sogar die Schulkinder von Biemsen zu unterrichten hat. Die meisten Kleinhandwerker oder Ziegler, Kleinbauern dieses Namens fand ich noch im Flecken Bösingfeld, Amts Sternberg. Auf dem platten Lande tritt gleichem Bildungsvorgange entsprechend stand [statt?] Begemann - Beckmann.

Außer Betracht muß wohl eine Tischlerfamilie B., mehrfach verzweigt, in Detmold bleiben, davon 2 sich zu "Möbelfabrikanten" - volle Aussteuerungen emporgearbeitet haben. Die Urgroßmutter, eine kleine, dürftig erscheinende Frau, kannte ich als Knabe mit dem Kartoffelnkorbe im Arme vielfach gehen sah. Dem lutherischen Bekenntnisse angehörend, scheinen sie, falls sie nicht aus Lemgo kamen, keine Altlipper zu sein. Nach meinen Erfahrungen auf obigen Gebiet erscheint es als das Gerathenste, zunächst nach Herkunft des Küsters Begemann im Detmolder Kirchenbuche zu forschen. Er müßte in den 20ger Jahren vorigen Jahrhunderts gestorben sein. Mit seiner Herkunft hätten Sie gleich die der 6 Brüder. Über den schaumburg-lippischen Domänenpächter wird das Blomberger Kirchenbuch Auskunft geben, über die Betzener das zu Bega. Sollte es gelingen, tiefer rückwärts zu dringen, so würde Ihnen am Ende noch das uralte plattdeutsch geschriebene, ins Hochdeutsch übertragene lippische Schatzregister, das älteste deutsche am Ende noch Dienste erzeigen können. Gern will ich Ihrem jungen, sehr vorteilhaften Eindruck machenden jungen Freunde bei weiteren Forschungen behülflich sein.

Bitte entschuldigen die lässige Schrift und etwaige Verstöße. Die alten Augen haben heute schon viel arbeiten müssen. Bei dem stark steigenden Wohlstande, der größten Stellungsziffer zum Reichsheer: 142 auf 1000, bei den 20 Millionen zur letzten Kriegsanleihe, bei den vielen Naturschönheiten brauchen Sie sich Ihres Stammlandes nicht schämen.

Detmold, Sophienstr.24
11.5.1918                                        Ihnen dienstbereit
                                                        ergebenst
                                                        Wilhelm Oesterhaus

[übertragen von Herbert Begemann D 63477 Maintal]

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